Begriffe und Beziehungen

  

Zur funktionalen Auffassung von Begriffen und Beziehungen

Begriffe sind in die Sprache eingegliedert, stehen aber zugleich in Verbindung mit außersprachlichen Gegenständen. Gerade als sprachliche Bestandteile haben Begriffe etwas an sich, das über die Sprache hinausgreift, und darin ähneln sie den Namen, die die Sprache an dasjenige knüpfen, worüber gesprochen wird. Doch anders als Namen, die es benennen, sind Begriffe dazu da, es zu begreifen. Namen stehen – als referentielle Zeichen – für etwas, auf das Begriffe – im operationalen Zugriff – angewandt werden.

Mit Freges Auffassung von Begriffen trat eine Wende in der tradierten Begriffstheorie ein, ohne sich mit dem ‚linguistic turn’ in der modernen Philosophie zu decken, die für die moderne Logik wegweisend werden sollte. Frege faßte Begriffe (und Beziehungen) als Funktionen auf, womit Funktionen im mathematischen Sinne gemeint sind. Der Funktionsbegriff selbst war inzwischen allerdings weit abstrakter gefaßt worden, als es im mathematischen Rahmen zuvor üblich war.

Die Idee Freges, Begriffe als Funktionen anzusehen, bildet den Ausgangspunkt und den Fluchtpunkt aller in der vorliegenden Arbeit angestellten Überlegungen. Sie gliedert sich in drei Teile, die sich – erstens – mit dem Konzept des Begriffs und – zweitens – mit dem Konzept der Funktion befassen, und – drittens – die Anwendung von Begriffen auf Gegenstände behandeln. Vorausgeschickt wird eine ausführliche Einleitung, um das thematische Spektrum zu umreißen und die wichtigsten Aspekte anzugeben, unter denen die komplementäre Konstellation von Begriffen und Gegenständen näher zu betrachten ist. Ein kurzer Ausklang beschließt die Überlegungen, die an Freges Begriffsauffassung anknüpfen und sich davon leiten lassen.

Meine Absicht ist es, die Grundlinien eines begriffstheoretischen Ansatzes zu skizzieren, anhand dessen sich eine Haltung zur Sprache und zur begrifflich erschließbaren Welt einnehmen läßt, die aus der konzeptuellen Gegenüberstellung von sprachlicher und gegenständlicher Sphäre keine strikte Trennung ableitet, sondern eine prozedurale Durchdringung beider Sphären erlaubt und sogar verlangt, ohne die sich die Anwendung und Anwendbarkeit von untereinander vernetzten Begriffen auf Gegenstände schlechterdings nicht verstehen ließe. Ich schließe mich an die von Frege angeregte Begriffsauffassung an, und versuche, ihren verzweigten Wurzeln nachzugehen; allerdings nicht, ohne an gewissen Punkten deutlich von den bei Frege vorgezeichneten Linien abzuweichen. Diese Abweichungen führen weiter aus der sprachlichen Sphäre heraus, als es bei Frege unter logischem Vorzeichen ohnehin der Fall ist, wenn er sich von der verbalen (Umgangs‑) Sprache in Richtung einer symbolischen (Begriffs‑) Sprache absetzt.

Mit der funktionalen Auffassung von Begriffen, um die es in der Arbeit geht, wird ein theoretischer Ansatz zur Erklärung oder Erläuterung von Begriffen im allgemeinen verfolgt, um Begriffe auf Funktionen zurückzuführen, wozu weitere Begriffe einzubeziehen sind, vor allem der Begriff der Funktion selbst. Gemeint sind, wie gesagt, mathematische Funktionen im abstrakten Sinne, die innerhalb des formallogisch abgesteckten Rahmens nicht anders fungieren als auf mathematischen, auf physikalischen, oder auf anderen Gebieten exakter Wissenschaften, aus denen Funktionen nicht wegzudenken sind. Das Konzept der Funktion, eingeführt von Leibniz und Newton, weitergeführt von den Bernoullis und von Euler, wurde seit Fourier, Lobatschewskij und Dirichlet auf ein Abstraktionsniveau gehoben, auf dem es weit über die anfänglichen analytisch-algebraisch gezogenen Grenzen hinaus reichte und unter anderem in die formale Logik Eingang fand. Außerdem, und das ist das andere Anliegen, das ich verfolge, werden neben Begriffen im allgemeinen auch besondere Begriffe näher erörtert. Entweder, weil sie begriffstheoretisch benötigt werden, oder weil es sich anbietet, sie paradigmatisch anzuführen oder exemplarisch zu streifen. Es geht um Begriffe, die zum Kern der Theorie gehören, wie auch um Begriffe, die als typische Beispiele dienen (angefangen von Funktion und Gegenstand, Benennung, Satz, Variable, Zahl, Menge, Regel, Abstraktion, Klassifikation, Identität und Existenz, Komprehension, Extension etc. – bis hin zu Ähnlichkeit, Gleichzeitigkeit, Endlichkeit vs. Unendlichkeit, oder Gewicht, Länge, Farbe, Temperatur). Lauter Begriffe, die entweder direkt in die Konzeption dessen, was Begriffe sind, eingehen, oder aber indirekt die Applikation von Begriffen verdeutlichen, wie ich die Anwendung von Begriffen auf Gegenstände nenne.

Das Stichwort der Anwendung oder Applikation markiert denn auch den Punkt, an dem ich mich am weitesten von Freges Auffassung entferne, um die ausgesprochen operationale Anwendungssituation von Begriffen überhaupt in den Blick zu bekommen, ohne die die begriffliche Sphäre von der gegenständlichen Sphäre abgekoppelt wäre. An einer Reihe weiterer Punkte läßt sich festmachen, welche Relevanz die operationale Applikation für eine Begriffstheorie funktionaler Prägung hat, und auch, wo und wodurch es zu Abweichungen von Frege oder vergleichbaren Begriffstheorien kommt, wenn die Funktionalität von Begriffen berücksichtigt wird, ohne die Applikation zu vernachlässigen. Folgende (elf) Punkte halte ich für die wichtigsten:

Es kommt darauf an, das außersprachliche Moment von Begriffen von Anfang an in den Blick zu nehmen, wobei im Zusammenspiel zwischen Namen und Begriffen die Rollenverteilung von entscheidender Bedeutung ist, so daß Begriffe (erstens) keine Namen sind (auch nicht im weitesten Sinne), oder jedenfalls keine Benennungen. Hinzu kommt (zweitens), daß das Wechselspiel von Begriffen untereinander, eingebunden in Begriffsnetze, nicht ohne Rückwirkung auf die Anwendung der vernetzten Begriffe verstanden werden kann, und umgekehrt, daß in die Anwendung von Begriffen womöglich andere Begriffe eingehen, die nicht außer acht zu lassen sind, weil Begriffe in ein Netz eingebunden sind. Dieses Netz ist geeignet, um Gegenstände begrifflich zu erfassen, weil es (drittens) schon anhand von Gegenständen geknüpft worden ist, auf die die vernetzten Begriffe zugeschnitten sind. Sonst wären beliebige Begriffe auf beliebige Gegenstände anwendbar. Wegen der nötigen Verflechtung von Begriffen, sind (viertens) nicht etwa attributive (oder klassifikatorische) Begriffe relationalen Begriffen (oder Beziehungen) vorzuziehen, weshalb ich letztere auch zu den Begriffen rechne, anders als es bei Frege oder anderen Autoren üblich ist. Das bedeutet (fünftens), daß mit der Anwendung von Begriffen auf Gegenstände im allgemeinen zwar eine Unterscheidung beabsichtigt ist, nämlich zwischen Anwendungsfällen mit unterschiedlichem Ausgang, doch nicht unbedingt zur Klassifikation von Gegenständen, sondern beispielsweise auch zur Komparation. Deshalb wird (sechstens) der Ausgang oder das Ergebnis der Anwendung mittels eines Wahrheitswerts signalisiert, und zwar bei allen Begriffen gleich, seien sie attributiv oder relational, also einstellig oder mehrstellig. In Aussagesätzen einfachster Art wird mitgeteilt, welcher Begriff auf welchen Gegenstand oder auf welche Gegenstände mit welchem Ergebnis angewandt worden ist. Insofern stellt (siebtens) die logische Satzstruktur keine Assoziation von Gegenständen dar, sondern die Applikation von Begriffen auf Gegenstände samt Resultat. Weil die logische Struktur mit der grammatischen Sprachstruktur nicht übereinstimmt, entwirft (achtens) die formale Logik eine eigene symbolische Sprache mit abweichenden Satzschemata, in der Begriffe als Funktionsausdrücke wiedergegeben werden. Dazu reicht es (neuntens) nicht aus, den Begriff der Funktion mengentheoretisch im extensionalen Sinne einzuführen, denn ohne eine intensionale Dimension würde das operationale Moment bei der Applikation von Funktionen, mithin die Anwendbarkeit von Begriffen, nicht erfaßt. Daß der operationale Prozeß die Möglichkeit des Fehlschlags einschließt, weil manche Begriffe auf manche Gegenstände oder in manchen Situationen unanwendbar sind, verleiht (zehntens) einem Begriff so etwas wie einen Horizont, jenseits dessen sich seine Anwendbarkeit verliert; anders als es Frege vorschwebte. Bleibt (elftens) noch der Punkt übrig, ein heikler Punkt übrigens, von dem aus einsichtig wird, daß ein Begriff keines zusätzlichen Kontakts zur Wirklichkeit bedarf, weil er – als Begriff – selbst eine Weise des Zugangs dazu ist. Auch das ergibt sich daraus, daß Begriffe von sich aus schon operationale Züge tragen; daraus also, daß Begriffe nichts anderes als anwendbare Funktionen sind.

Zur Aufhebung der unvermittelten Gegenüberstellung von Sprache und Welt, von Begriffsnetz und Wirklichkeit, oder wie immer die Separation zwischen sprachlicher Repräsentation und sachlichem Pendant ausgedrückt werden mag, bedarf es der Anwendung von Begriffen auf Gegenstände, sonst gäbe es keine sprachliche Darstellung von Wirklichkeit mittels der Begrifflichkeit. Über die begriffliche Dimension ist Sprache in die gegenständliche Sphäre der Welt eingekoppelt, was sich nicht erst zeigt, wenn zur Anwendung von Begriffen geeignete Gegenstände vorgefunden und herausgegriffen werden, sondern schon, wenn Begriffe anhand von Gegenständen so ausgebildet, und wenn Gegenstände gemäß Begriffen so ausgesucht werden, daß die Anwendung solcher Begriffe auf solche Gegenstände in der Regel gelingt, und nur in Ausnahmefällen mißlingt.

In der Einleitung werden alle genannten Punkte angesprochen, und es wird ihr innerer Zusammenhang herausgestellt, so daß sich die drei folgenden Kapitel dem Kern der funktionalen Auffassung von Begriffen zuwenden können. Sie beschäftigen sich mit Begriffen als Funktionen, mit dem ‚Begriff des Begriffs’ sozusagen, danach mit dem Begriff der Funktion in seiner modernen Ausprägung, und schließlich mit der Problematik der Anwendung von Begriffen auf Gegenstände; wobei durch die Konzeption von Begriffen als Funktionen ein Symmetriebruch zwischen den Termini des (Aussage‑) Satzes eingeleitet wird, der von der konzeptuellen Trennung zwischen Funktionen und Gegenständen herrührt, die sich an Begriffe (qua Funktionen) weitervererbt und in der Anwendung von Begriffen auf Gegenstände niederschlägt. Weil die Anwendung (oder Applikation) deshalb ausgesprochen operationale Züge annimmt, denn die Gegenstände werden als Argumente von Funktionen durch diese Funktionen mit Werten versehen, im Falle von Begriffen mit Wahrheitswerten, sind die unterschiedlichen Resultate der Begriffsanwendung auf verschiedene Gegenstände durch unterscheidbare Wahrheitswerte zu signalisieren. Im Mißlingen der Anwendung liegt eine weitere Möglichkeit, die begriffstheoretisch in Rechnung zu stellen ist. Ein Begriff läßt sich auf Gegenstände, die außerhalb seines Horizonts liegen, nicht ohne weiteres anwenden.

Die Anwendungssituation von Begriffen auf Gegenstände spiegelt sich in der logischen Struktur einfachster (Aussage‑) Sätze wieder. Ein Name (als Nominator) benennt, worüber im Satz etwas gesagt wird, während ein Begriff (als Prädikator) angibt, was darüber ausgesagt wird. Denn ohne Begriffe wären Sätze nichtssagend. Wie Sätze etwas aussagen und was sie aussagen, läßt sich nur verstehen, wenn die logische Satzstruktur funktional aufgefaßt wird, nämlich als Funktionsanwendung. Begriffe werden auf Gegenstände angewandt, welche, in Sätzen des einfachsten Typs, namentlich genannt werden. Deshalb kommt es im Aussagesatz (im allgemeinen) zu keiner Assoziation von Gegenständen, sondern es geht um eine Applikation auf Gegenstände, wenn ein Begriff auftritt.

(Copyright by Peter Gold)

Leave a comment